von Laodicea » Di 9. Aug 2011, 18:45
Hier mal eine kleine Unterhaltung wie sie in der Pilgergeschichte ab Seite 254 zu lesen ist:
Mutherz: Vater Redlich, hast du nicht auch einen gewissen Herrn Ängstlich gekannt, der aus deiner Gegend auf die Pilgerschaft gezogen ist?
Redlich. Ja, ich kannte ihn sehr wohl. Er war ein Mann, der das
eine besaß, das not tut; aber er war einer der ängstlichsten Pilger,
die ich je in meinem Leben getroffen habe.
Mutherz: Ich merke wohl, du kennst ihn, denn du hast ihn ganz richtig geschildert.
Redlich: Wie sollte ich ihn nicht kennen? Ich bin lange Zeit sein Gefährte gewesen, und wir sind ein gutes Stück unseres Weges miteinander gepilgert. Schon in den ersten Anfängen seines neuen Lebens hatte ich Umgang mit ihm.
Mutherz: Und ich war sein Führer von meines Herrn Haus an bis zu den Toren der himmlischen Stadt.
Redlich: Nun, dann kann Dir seine allzu große Ängstlichkeit nicht verborgen geblieben sein.
Mutherz: Ich weiß es. Ich habe ihn trotzdem doch recht liebgewonnen; denn Leuten meines Berufs wird des öfteren die Führung solcher Seelen anvertraut.
Redlich: Nun, so laß uns doch etwas hören von ihm, wie er auf seiner Pilgerfahrt durchgekommen ist.
Mutherz: Ach, er war immer in Angst, daß er das Ziel seiner Sehnsucht nicht erreichen wiirde. Jede Kunde von bevorstehenden Hindernissen und Gefahren, die an sein Ohr drang, versetzte ihn in nicht geringen Schrecken. Umkehren wollte er dennoch um keinen Preis. ,,Lieber tot als ungetreu,,, konnte man ihn oft sagen
hören, und doch war er mutlos bei jeglicher Schwierigkelt und stolperte über jeden Strohhalm, der auf dem Weg lag. Bei dem Sumpf der Verzagtheit soll er über einen Monat jammernd auf und ab gegangen sein, ehe er es wagte, seinen Fuß hineinzusetzen, obwohl mehrere der vorübergehenden Pilger ihn dazu hilfreiche
Hand boten. Dann auf einmal, es war an einem sonnigen Morgen, nahm er einen Anlauf und kam, ich weiß nicht wie, glücklich hinüber. Es war auch ihm selber wie ein Wunder. Ich glaube, er hatte eben solch einen Sumpf der Verzagtheit in seinem Herzen, sonst hätte es anders um ihn stehen müssen. So kam er denn an die Pforte, die am Eingang dieses Weges ist, und auch da währte es eine geraume Zeit, bis er den Mut fand, anzuklopfen. Als sich die Pforte öffnete, trat er zurück und machte anderen Platz die nach ihm angekommen waren, weil er sich unwürdig fühlte einzutreten. Zitternd und zagend stand der arme Mann da, ein Bild des Erbarmens! Zurückgehen wollte er natürlich nicht. Endlich faßte er sich ein Herz, schlug mit dem Klöpfel, der an der Tür hing, ein- oder zweimal an. Alsbald wurde ihm geöffnet, aber er bebte zurück wie zuvor. ,,Du Zitternder, was begehrst du?" fragte der Torwächter. Ängstlich viel zur Erde nieder. Jener, da er den armen Mann in so großer Schwachheit fand, sprach: ,,Friede sei mit dir! Steh auf, die Pforte ist offen; komm herein, du Gesegneter des Herrn!" Nur langsam erhob er sich, und zitternd trat er ein, wagte es jedoch lange nicht, seine Augen aufzuheben. Freundlich wurde er aufgenommen und bewirtet, und man wies ihm den Weg, den er nun nehmen sollte. So kam er denn an das Haus meines Herrn, des Auslegers. Wie bei der engen Pforte, so machte er es auch hier wieder. Er fürchtete sich, anzuklopfen, und doch wollte er nicht mehr umkehren. Trotz der kalten Nächte schlich er eine lange Zeit um das Haus herum und stand in Gefahr, vor Hunger und Kälte zu verderben. Überdies hatte er ein dringendes Empfehlungsschreiben an meinen Herrn in der Tasche, daß er ihn aufnehmen und ihm alle Erquickung und Tröstung des Hauses zukommen lasse und ihm auch einen tüchtigen und beherzten Führer mitgeben möchte, weil er selber nicht mehr Herz habe als ein Küchlein. Ja, so groß war seine Niedergeschlagenheit, daß er, obschon er mehrere andere anklopfen und hineingehen
sah, selbst es dennoch nicht zu tun wagte. Endlich gewahrte ich von meinem Fenster aus einen Menschen vor der Tür auf und ab gehen. Ich trat zu ihm hinaus und fragte, wer er wäre. Aber der arme Mann! Die Tränen standen ihm in den Augen, und so entdeckte ich denn die Ursache seines Kummers. Als mein Herr dies erfuhr, gab er mir den Auftrag, den Mann hereinzuführen; allein ich muß gestehen, daß es mir schwer wurde, ihn dazu zu bringen. Indessen gelang es mir doch, und mein Herr nahm sich seiner mit der größten Liebe an. Von all den guten Gerichten,
die noch von der Tafel übrig waren, wurde ihm auf einem Teller vorgesetzt. Hierauf überreichte er meinem Herrn sein Empfehlungsschreiben. Als dieser es gelesen hatte, wurde ihm die Erfüllung seiner Bitte zugesagt. Während seines Aufenthalts bei uns schien er wieder ein wenig Herz zu fassen und zuversichtlicher zu werden;
denn mein Herr, das mußt du wissen, hat ein besonders großes herzliches Erbarmen gegen die Verzagten und tut alles, um ihnen Mut zu machen. Nachdem ihm nun alle Merkwürdigkeiten des Ortes gezeigt worden waren und er sich bereitmachte,
seine Reise nach der himmlischen Stadt fortzusetzen, gab ihm mein Herr, wie er es einstmals Christ getan hatte eine Flasche mit stärkendem Getränk und einige Erfrischungen mit auf den Weg. So zogen wir aus, und ich ging vor ihm her; allein der Mann war einer von wenig Worten, nur seufzte er oft laut auf.
Bald erreichten wir den Ort, wo die drei Bösewichter hingen; da sprach er die Befürchtung aus, daß es auch mit ihm ein solches Ende nehmen werde. Nur da schien er froh zu sein, als er das Kreuz und das Grab erblickte. Hier wünschte er ein wenig zu verweilen, um diese Stätte anzuschauen, und darauf erhellte sich
sein Angesicht ein wenig. Bei dem Berg der Beschwerde machte es mit ihm gar keine Schwierigkeiten, er fürchtete sich auch nicht vor den Löwen; denn du mußt wissen, daß er sich weniger über dergleichen Dinge ängstigte, sondern seine größte Sorge war die, ob er auch zuletzt werde in Gnaden angenommen. Im Palast Prachtvoll machte ich ihn mit allen Gliedern des Hauses bekannt; allein er war zu schüchtern, sich in ihre Gesellschaft zu begeben, und suchte lieber die Einsamkeit auf. Gleichwohl
boten ihm erbauliche Gespräche hohen Genuß, und oft stellte er sich hinter einen Vorhang, um unbemerkt zuzuhören. Auch an altertümlichen Sachen hatte er großes Gefallen und sann gern bei sich darüber nach. Späterhin gestand er mir, er wäre an der engen Pforte und im Haus des Auslegers gern ein wenig länger geblieben, doch habe er nicht den Mut gehabt, diese Bitte au zusprechen. DerAbstieg vom Berg in dasTal der Demütigung vollzog sich bei ihm mit der größten Leichtigkeit, wie ich es kaum je mit eine anderen erlebt habe; denn er fragte nichts danach, wie tief es
hinab ginge, wenn er nur zuletzt selig würde. Ja, ich glaube, zwischen ihm und diesem Tal bestand eine ganz besondere Übereinstimmung, sah man ihn doch auf der ganzen Pilgerreise nie fröhlicher einhergehen als hier. Er warf sich da nieder, als wollte er den Erdboden umschlingen, und küßte selbst die Blumen, die darauf wachsen. Jeden Morgen stand er schon bei Tagesanbruch auf, um talauf und talab zu wandern. Am Eingang des Tales der Todesschatten aber, da schien es, als sollte ich um meinen Mann kommen. Nicht daß er irgendwelche Neigung gehabt hätte umzukehren, davor hatte er immer einen Abscheu, sondern eine wahre Todesangst bemächtigte sich seiner. ,,O die Kobolde, die Kobolde, sie wollen mich ergreifen!"
schrie er einmal über das andere; und es gelang mir nicht, es ihm auszureden. Er erhob ein solches Zetergeschrei, daß zu befürchten war, das ganze höllische Heer könnte sich versammeln, um uns zu überfallen. Wunderbarerweise blieb alles ruhig, als wir hindurchzogen, wie es zuvor und seitdem nie gewesen ist. Ja, unser Herr hielt die Feinde zurück, daß sie sich nicht regen durften, bis Herr Ängstlich hindurch wäre. Es würde zu weit führen, wollte ich dir alle Einzelheiten der Reihe nach erzählen; einen oder zwei Vorfälle nur will ich noch erwähnen. Als wir auf den Eitelkeitsmarkt kamen, meinte ich, er wolle mit allen Leuten auf derr Markt anbinden; ich besorgte, man würde uns beiden die Köpfe zerschlagen, so eifrig trat er gegen ihre Torheiten auf. In dem bezauberten Grund war er sehr wachsam. AIs er aber den Fluß erreichte, über den keine Brücke führt, da war er wieder in schweren Ängsten. ,,Jetzt, ach, nun muß ich in die Tiefe versinken", jammerte er, ich werde mich nie am Angesicht des Herrn erquicken dürfen, um dessentwillen
ich diesen weiten Weg zurückgelegt habe" Eben hier erlebte ich wieder etwas Seltsames. Der Wasserstand war gerade zu dieser Zeit so niedrig, wie ich es sonst hoch nie angetroffen habe. So kam er denn hinüber, wobei das Wasser ihm nicht viel höher als über die Schuhe ging. AIs er nach der Pforte der himmlischen Stadt hinanstieg, nahm ich Abschied von ihm und wünschte ihm eine gute Aufnahme droben. Er sprach: ,,Amen, Amen." Noch einmal winkte ich ihm zu, und bald war er
meinen Blicken entschwunden.
Redlich: So ist es ihm am Ende doch noch gut ergangen.
Mutherz: Daß es mit ihm noch gut werden würde, daran hegte ich nie einen Zweifel. Er war ein Mann von ungewöhnlich himmlischer Gesinnung; nur war er immer niedergedrückt, und das machte ihm sein Leben so mühsam und anderen beschwerlich (Ps. 88). Seine tiefe Abscheu vor der Sünde war wirklich vorbildlich,
und er fürchtete sich so sehr davor, jemand Unrecht zutun, daß er sich oft Erlaubtes versagte, damit er nur niemand Anstoß gäbe.
Fortsetzung folgt
Es geht immer um die Ehre des Herrn;
wo der Herr im Leben nicht zu Ehren kommt,
da lebt der Mensch verkehrt!